Bevor die Wahrheit ihre Stiefel schnürt, hat die Lüge die Welt zweimal umrundet:

„In Hurghada stinkt es aus dem General Hospital bestialisch nach verfaulten Covid-Leichen. Und am Eingang warten Hunderte von Angehörigen auf die Totenscheine. Und es verrecken nur die Armen, weil die Regierung für eine Impfung 200 Euro will. Das kann sich niemand leisten!“

Dass eine Impfung in Ägypten bis zu zehn Euro kostet, war in einigen Medien tatsächlich zu lesen. Die Bundesregierung klassifiziert Ägypten als Hochinzidenzgebiet. Man gehe davon aus, dass viele Covid-Fälle in der Statistik nicht erfasst würden, nicht zuletzt, weil kaum getestet wird. Man könnte jetzt einwerfen: Ähnlich wie bei anderen Ländern, die aber seltsamerweise nicht als Risikogebiete definiert werden. Das Land am Nil leidet unter der Bewertung anhand fragwürdiger Kriterien, die Touristen bleiben aus, und das bringt die Wirtschaft in Bedrängnis. Einige Auswanderer verkauften ihr Eigentum in den letzten Monaten panikartig und kehrten nach Deutschland zurück. In den totalen Lockdown. Den es in Ägypten so nicht gibt.

Die Regierung As Sisi hat ihrer Bevölkerung früh mitgeteilt, man müsse lernen, mit dem Virus zu leben. Je nach Lage erfolgt der Schulunterricht in den heimischen vier Wänden. Es gibt nächtliche Ausgangsbeschränkungen, aber die Geschäfte sind geöffnet, auch die Restaurants. Bei Banken und einigen großen Supermärkten gibt es an der Pforte Temperaturmessungen. Strenge Verhaltensregeln gelten für die Hotels, und Verstöße können zu Schließungen führen. Man hat Vorschriften für das Tragen von Masken, die eher als Empfehlungen aufgefasst werden. Niemand regt sich auf, wenn eine Familie ohne Mund- und Nasenschutz einkauft.

40 Grad im Schatten. Die Hoffnung, dass dieses Jahr die Hitze das Virus tötet, zerschlägt sich erneut. 2020 hatte man auch auf den Sonnengott gesetzt und war enttäuscht worden. In dem privaten Al Nour Hospital im Stadtteil Dahar sind die meisten der 20 Betten streng isoliert für Covid-Patienten ausgelegt. Modernstes Equipment, einschließlich Beatmungsgeräte. An einem dieser Geräte hängt eine Deutsche und kämpft 13 Tage um ihr Leben. Vier Tage über 40 Grad Fieber. U.a. erhält sie Remdesivir, zwei Dosen täglich. Ein teures Medikament, dass seinerzeit auch dem früheren US-Präsidenten Donald Trump verabreicht worden war. Als die Frau das Krankenhaus verlässt, muss sie 130.000 Pfund (rund 7.000 Euro. Zum Vergleich: Das durchschnittliche Monatseinkommen eines Ägypters liegt umgerechnet je nach Studie zwischen 70 und 150 Euro) für die 13-tägige Behandlung hinblättern. Sie ist nicht krankenversichert und hat große Schwierigkeiten, die Summe aufzutreiben. Immerhin: Die Nachbehandlung ist kostenlos. Und bei der Rechnung lässt man ein wenig nach. In den folgenden Tagen erholt sich die Frau nur langsam von den Folgen der Krankheit, während ein vier Wochen junges Baby noch immer intubiert wird. Der kleine Körper kämpft in einem Spezialbehälter gegen den Tod. Der Anblick zerreißt einem das Herz.

Ahmed Shawky, Manager des Al Nour Hospitals, will keinen falschen Eindruck entstehen lassen. Es gebe Covid-Fälle in Ägypten, die meisten in Zentren wie Kairo und Alexandria. Wenige nur in den Tourismus-Regionen; insgesamt aber halten sich die Zahlen im Vergleich zu Europa stark in Grenzen. Dass die Impfungen in Ägypten Geld kosten, habe er von Freunden aus Deutschland gehört. Warum verbreitet man solche Nachrichten, fragt er. Das Impfen ist kostenlos, für jeden Ägypter, für Residents und auch für Langzeit-Touristen. Und Covid-Leichen im General Hospital? Was für ein Unfug. Da mag es vielleicht ab und an übel riechen, weil man das staatliche Krankenhaus (Einheimische zahlen nichts für Behandlungen) renoviert, also auch die Abwasserleitungen…

Die eingangs kursiv gestellte Information über die Leichenberge im General Hospital stammt von Deutschen, die sich auf Ägypter als Quelle berufen. Nun: Die Ägypter in Hurghada sprechen bruchstückhaft Englisch und Deutsch. Dafür sprechen die Deutschen kein Ägyptisch… Man könnte auch einfach mal beim General Hospital vorbeifahren. Dann würde sich herausstellen, dass die Hunderte von Menschen dort anstehen, weil sie geimpft werden wollen. Niemand wartet auf einen Totenschein. Einige haben Covid-Fälle mit schwerem Verlauf in der Familie. Bis dahin war man Impfungen gegenüber skeptisch: Biontech will man nicht. Das verändert die Gene. Und zum hysterischen Europäer will man nicht mutieren. Aber Biontech gibt es eh nicht. AstraZeneca, zwar sehr gut, verursacht Thrombosen, Fieber und Kopfschmerzen – und Kopfschmerzen hat sie genug von ihrem Mann, scherzt eine Ägypterin. Sinopharm? Ohne Nebenwirkungen und kaum effektiv. Wird das Impfmittel nicht in derselben Biofabrik von Wuhan produziert, aus der das Virus entwichen ist? „Wir denken“, sagt ein Ägypter, als er mit schreckgeweiteten Augen die Spritze auf sich zuschnellen sieht, geführt von einer fachkundigen Ärztin, „dass der Impfstoff zuerst da war. Danach haben die Chinesen das dazu passende Virus gebastelt.“

Es geht locker, humorig, professionell und unbürokratisch im Impfzentrum von Al Ahiaa (bei Al Fayrouz), einem Viertel zwischen Hurghada und El Gouna, zu. Der erste Schritt: Anmelden übers Internet. Dauert keine drei Minuten. Bestätigung kommt aufs Handy, inklusive Registrierungsnummer. Ein paar Wochen später erneut aufs Handy: Der Termin für den ersten „vaccine shot“. Vor dem Zentrum darf man auf bequemen Bänken Platz nehmen und zwei, drei Stunden warten. Die Ärzte arbeiten einen Fragebogen ab, um sicher zu sein, dass man die Spritze verträgt. Fast alle erhalten AstraZeneca, man ist von dem Mittel überzeugt, die Sache mit den Thrombosen werde hochgespielt, sagt eine junge Ärztin, und das Kopfweh komme nachweisbar vom Ehemann, sie leide ständig darunter, schon lange vor ihrer Impfung. Der 3-jährige Knirps, der auf dem Gang Fußball spiele, sei ihr Sohn, nervig wie der Vater und günstig abzugeben…

Ärzte, Polizisten, das Militär, die Tourismusbranche und auch die Residents, also Ausländer, die in Ägypten leben, sind in die Pflicht genommen, sich impfen zu lassen. Finanziert wird das u.a., indem man den Ägyptern vom Gehalt ein Prozent abzieht. AstraZeneca liefert die Dosen zum Selbstkostenpreis, alle können sich impfen lassen. Der prominenteste: Präsident As Sisi, das war Ende April. Eine der ältesten Damen ist 92 Jahre, eine von Jahrzehnte langer Arbeit gebeugte Koptin, sie sieht es als Bürgerpflicht und will vor allem nicht als Überträgerin für das Virus da sein. Und bitte kein Foto, weil sie ihre Zähne daheim vergessen habe, lacht sie.

Der zweite Termin wird nach dem Einstich (und bei Männern vor der Ohnmacht) sofort vergeben: Drei Monate später, weil dann die erste Impfung ihren größten Wirkungsgrad erreiche, wie ein Arzt – mit Hinweis auf eine argentinische Studie – in einem anderen Impfzentrum erklärt, direkt am Strand vom Magic Beach Hotel, El Hilal, Hurghada. Hier geht es noch einfacher: Man stiefelt vorbei, fragt, wie das so läuft mit den Impfterminen. Antwort: „Give me your Passport, please. I do your number in our system. Sit down and wait five minutes. Complete this Questionnaire. You wanna have AstraZeneca?“ Doch plötzlich meckert die Software: Der Herr aus Deutschland ist längst registriert. Er hatte sich über die Homepage des Gesundheitsministeriums angemeldet. Eigentlich müsste er warten, bis er über die Automatik terminiert wird. – Aber gut, wenn er schon mal da ist… Kurz darauf sticht die Nadel zu. Kosten- und schmerzlos.

In Deutschland hieß es im Februar: „Vor Ende September, eher Oktober, kommen Sie nicht dran.“ Das heißt im Klartext: über ein halbes Jahr als potenzieller Überträger unterwegs und ständig mit der Angst leben, auf einer Intensivstation sterben zu müssen. Wer eigentlich hat den Ernst der Lage erkannt?

Wirklich Mut bedarf es, das gelbe Impfbuch vorzulegen, genannt „International Certificates of Vaccination“ gemäß § 22 Infektionsschutzgesetz. Am wenigsten schmerzt ein mitleidiges Lächeln. Ja, man habe von diesem vorsintflutlichen Pass gehört, der ein und andere Arzt in Hurghada will ihn auch schon mal gesehen haben. Ob man dieses kleine, leicht zu fälschende Papier wirklich in der EU benutze? Auf das irgendwer notiert, wann welches Vakzin angeblich verabreicht wurde? Klar sei das wichtig, besonders bei Covid; und deshalb händigt das ägyptische Gesundheitsministerium auch eine Impfbestätigung aus (nach der Ohnmacht). Und: Man speichere die exakten Daten zentral in Kairo ab. Wenn ein deutsches Gesundheitsamt Zweifel habe, könne es sich gern mit der Reisepass-Nummer des Deutschen an das „Ministry of Health and Population“ wenden. Man erhalte postwendend Antwort, vorausgesetzt, man habe Internet und E-Mail. Faxen geht eher nicht. Veraltete Technik…

Kein Gesundheitsamt wird in Kairo nachfragen, allein wegen der Datenschutzgrundverordnung, die unsere Daten sehr gut schützt (schützt sie uns auch? Und vor wem?). Und mit der man in Ägypten wenig bis nichts anfangen kann. Nach der für den Impfausweis entscheidenden Chargen-Nummer (die handschriftlich eingetragen werden könnte) fragt man Vorort vergebens. Das bedeutet, dass die in Ägypten geimpften Deutschen zunächst als „nicht geimpft“ gelten, selbst dann, wenn sie einen Bluttest nachschieben. Denn, so Dr. Jan Peter Wizenmann von der Internistischen Praxis Lampertheim: „Ein positiver Antikörper-Blutttest gilt in Deutschland (bisher!) noch nicht als alleiniger Immunitätsnachweis.“

Andreas Müller

andreas müller impfung

Andreas Müller Impfung

Andreas Müller (61), früherer Honorarkonsul der Bundesregierung in Ägypten, wird als Resident im Magic Beach Hotel, El Hilal, Hurghada, geimpft. Von der Anfrage bis zum Nadelstich vergehen keine zehn Minuten. Sein Hausarzt Dr. J. Wizenmann von der Internistischen Praxis Lampertheim sah keine Bedenken in Sachen AstraZeneca. Die zweite Impfung gibt es im August.

margret müller kaufmann impfung

Margret Müller-Kaufmann Impfung

Noch im Februar hatte man ihr mitgeteilt: Vor Ende September wird das in Deutschland nichts mit einer Impfung. Die Lampertheimerin Margret Müller-Kaufmann (75) ging nach Hurghada und erhielt im Mai in einem Covid-Impfzentrum am Roten Meer ihre erste AstraZeneca-Impfung. Die zweite folgt drei Monate später. Seit Ende Mai kommen in ganz Ägypten mobile Impfteams zu alten, gebrechlichen und behinderten Menschen nach Hause, bzw. fahren in die unzugänglichen Regionen aufs Land. Einen Termin vereinbart man via Handy oder übers Internet. Die Impfwilligen findet man über das GPS-Signal ihrer Smartphones.

impfnachweis

Impfnachweis

So sieht die Bestätigung vom ägyptischen Gesundheitsministerium für die beiden AstraZeneca-Impfungen aus. Nach der Chargen-Nummer fragt man vergebens. Die aber ist nötig, damit die Impfung in Deutschland (nach jetzigem Stand) anerkannt wird. Man kann sie übrigens erfragen, indem man direkt beim Gesundheitsministerium in Kairo anruft. Die Auskunft erfolgt telefonisch oder per WhatsApp. In der Hoffnung, das deutsche, bzw. europäische Behörden diesen „easy way“ und somit die Impfung akzeptieren.

magic beach impfzentrum plakate

Magic Beach Impfzentrum Plakate

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magic beach impfzentrum personal

Magic Beach Impfzentrum Personal

Ägypten wirbt fürs Impfen. Sinopharm oder AstraZeneca. In jedem Fall kostenlos, auch für Auswanderer mit der ägyptischen ID-Card. Seit Anfang Mai kann man sich auch ohne Internetanmeldung direkt zu einem Impfzentrum wie das im Magic Beach Hotel, El Hilal, Hurghada, begeben. Im Magic Beach Hotel sollen hauptsächlich all die Menschen geimpft werden, die in der Tourismusbranche arbeiten.

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Impfzentrum Al Ahiaa

Anmelden übers Internet, Termin per SMS aufs Handy: Im Impfzentrum von Al Ahiaa (bei Al Fayrouz, zwischen Hurghada und El Gouna) beginnt man jeden Tag um 9.30 Uhr mit den Impfungen, oft bis spät in den Abend hinein.

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Al Nour Hospital

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Ahmed Shawky

„Sind gegen Covid bestens gerüstet!“ – Ahmed Shawky, im Foyer seines Krankenhauses, das private Al Nour Hospital in Dahar, Hurghada. Obwohl Shawky schwerste Krankheitsverläufe erlebt, ist er eher ein Impf-Skeptiker. Er setzt auf Naturheilmittel.

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Impfen in einer christlichen Gemeinde

Pastor Beshir Azmi (links) und Dr. Rania vom ägyptischen Gesundheitsministerium im Juni 2021. Sie bereiten die Impfungen von 55 Impfwilligen in einer evangelischen Gemeinde unweit von Hurghada auf dem Gelände der Kirche vor. „Es sind alle gekommen, und ich freue mich, dass damit nahezu alle Kirchenmitglieder ihre erste Impfung erhalten haben“, so der Pastor.